- 1. August 2023
Geborgen-Getragen
Gastartikel von Katharina Kornhas
Warum macht es überhaupt Sinn die Kinder zu tragen, warum wollen unsere Kinder getragen werden?
Unsere Kinder sind Traglinge. Tragling ist ein Jungentypus. Bis in die 70er Jahre gab es 2 Jungentypen: den Nesthocker und den Nestflüchter. Nestflüchter waren wir ganz eindeutig nicht, so wurde der Mensch den Nesthockern zugeordnet; und Generationen von Eltern haben sich wohl gewundert, dass ihr Kind da nicht richtig rein zu passen scheint.
Nesthocker werden nämlich total unreif geboren, ihre Grundbedürfnisse sind Nahrung und sauber gehalten zu werden. Sie warten im Nest und verhalten sich still bis die die Mutter zum nächsten Füttern vorbei schaut. Sind die Jungen älter und verlassen das Nest, fliehen sie immer zum Nest zurück bei Gefahr.
Am „Sich-still-verhalten“ bis die Mama/die Bezugsperson wieder kommt erkennt man wohl am ehesten, dass hier etwas nicht stimmt. Auch wenn im Dritten Reich empfohlen wurde, die Tür des Kindes abends zu zu machen und erst am nächsten Morgen vorbei zuschauen, wird aus unseren Kindern kein Nesthocker.
Ein Baby wird sich wenn es weint nicht beruhigen wenn wir irgendwo her rufen „ich bin da“ es wird sich auch nicht beruhigen wenn wir den Kopf über das Bettchen heben; es wird sich erst beruhigen wenn wir es aus dem Bett hoch nehmen, an den unseren Körper halten und dann selbst in Bewegung kommen. Aufrecht am Körper eines Erwachsen der sich bewegt, ist die Position in der sich ein Tragling am sichersten fühlt.
Das ist dann in den 70er Jahren auch dem Verhaltensbiologen Bernhard Hassenstein aufgefallen. Er hat den Tragling definiert. Er unterscheidet in den passiven Tragling (alle Beuteltiere, die im Beutel nicht aktiv am Tragen beteiligt sind) und den aktiven Tragling zu dem der Mensch zählt.
Zu den Grundbedürfnissen des Traglings zählen nicht nur die Nahrung und die Sauberkeit sondern auch die Liebe, Nähe und das Getragen werden.
Und mit der Erfüllung eines Grundbedürfnisses kann ein Kind nicht verwöhnt werden.
Ihr könnt Eure Kinder soviel Tragen wie es für euch und Euer Kind in Ordnung ist.
Wichtig ist dabei zu wissen, dass die Kinder vieler Affenarten darauf ausgelegt sind nur von der Mutter getragen zu werden, die Mutter ist körperlich, psychisch und hormonell darauf ausgelegt, das Kind 24 Stunden am Tag an sich zu haben. Bei den Menschen ist das nicht so. Bei den Menschen ist es so angelegt, dass der ganze „Clan“ die Kinder trägt. Also einer Person oder einem Elternpaar kann es zu viel werden, das Kind so lange an sich zu haben. Das Bedürfnis des Kindes gerade am Anfang 24 Stunden an einem anderen Menschen dran zu sein kann nicht immer erfüllt werden. Daher schaut, dass ihr euch diese Aufgabe teilt, schaut dass ihr in eurem „Clan“ (Familie, Freunde, Nachbarn…) Hilfe findet. Traut euch zu fragen und nimmt angebotene Hilfe auch an.
Es wird auch Zeiten geben, in denen sich eurer Kind ablegen lässt, in dem es sich selbst mit seinen Füßen oder einem Spielbogen beschäftigen kann; geniest diese Zeit! Aber behaltet im Hinterkopf es ist normal wenn es anders ist.
Auf was muss man beim Tragen achten?
Bei diesem Punkt greife ich gerne auf des „kleine Trage-1×1“ des Tragenetzwerkes zurück.
- freie Atemwege
Die Luft sollte zirkulieren können und sich keine so genannte CO2-Nästchen (wenn das Kind zu viel verbrauchte Luft wieder einatmet) bilden kann. Dafür zieht dem Kind keine Stofflage über den Kopf. Es reicht wenn der Kopf bis zum „Kopfanfang“ gestützt ist. Natürlich kann man durch Stoff atmen; aber spätestens seit Corona und der damit verbundenen Maskenpflicht wissen wir, dass das mit der Zeit und zunehmender Feuchtigkeit der Maske immer schwieriger wird
2. aufrechte Position
ich empfehle von Anfang an das Kind in aufrechter Position zu tragen. Das ist die Position, in der Sich das Kind am sichersten fühlt und am besten an den Körper des Tragenden passt. Zudem ist es in der Wiegeposition nicht möglich, das Kind ausreichend zu stützen. Stattdessen entsteht ein Druck auf Kopf und Füße wodurch das Kind in der Mitte „zusammen klappt“ und womöglich nicht mehr so gut frei atmen kann.
3. sicherer Halt
Das Kind sollte rund um sicher gestützt werden. Wenn das Kind eingebunden ist, sollte man sich nach vorne beugen können und dass Kind sollte in seiner Position an dem Körper des Tragenden bleiben, es darf kein Zwischenraum entstehen. Neugeborene haben noch nicht den Muskeltonus sich selbst aufrecht zu halten und das Gewicht des Kopfes zu halten und auch ältere Kinder sacken im Schlaf zusammen was zu einer unbequemen Haltung und ggf. auch zur Behinderung der freien Atmung führt. (stellt euch z.B. vor ihr seit im Auto eingeschlafen und euer Kopf fällt nach vorne.)
4. Anhock-Spreiz-Haltung
Die viel gerühmte „Anhock-Spreiz-Haltung“ Nicht alles was angehockt und gespreizt ist, ist eine Anhock-Spreiz-Haltung, aber alles andere ist nicht gleich schädlich. Hintergrund ist, dass man festgestellt hat, dass sich die Hüfte am optimalsten entwickelt wenn der Oberschenkelkopf mittig in die Hüftpfanne einsteht. Dies ist gegeben wenn die Beine etwa 90 Grad gespreizt sind und etwa die Knie auf Bauchnabelhöhe angehockt sind. Ihr müsst hier aber nicht mit dem Winkelmesser ran gehen. Viel wichtiger ist, dass das Becken des Kindes in dieser Position zum Träger hin kippt. Dadurch kann das Kind sich an den Träger ankuscheln oder aus dem Becken selbst aufrichten. Ist das Becken in die andere Richtung gekippt, hängen die Beine und der Kopf lässt sich nicht ablegen, das Kind sitzt im Hohlkreuz. Das passiert oft wenn das Kind sich beim Einbinden aufregt. In diesem Fall kann man vorsichtig, wenn sich das Kind beruhigt hat, ans Becken greifen und durch eine kleine Drehbewegung das Becken wieder zu sich her kippen. (Bitte zieht und schiebt nicht an den Beinen des Kindes)
5. angenehme Gewichtsverteilung
Der letzte Punkt ist die angenehme Gewichtsverteilung für den Träger. Natürlich ist keine Trageweise Rücken- oder Beckenbodenschonend, natürlich ist das Kind Gewicht das getragen werden muss und für das wir Muskeln brauchen die auch trainiert werden müssen. Aber es gibt Tricks die das Gewicht besser verteilen und damit schonender sind.
Am besten lernt man dies in einer Trageberatung. Da man da auch am besten ausprobieren kann, an welcher Stelle man das Gewicht besser tragen kann und ob man eher mehr Polsterung braucht oder ob es einem angenehmer ist, das Gewicht über eine breitere Fläche zu verteilen. Grundsätzlich kann ich nur empfehlen schnell auf den Rücken zu wechseln, da wir Menschen dafür gemacht sind Lasten auf dem Rücken zu tragen, mit Zug auf dem Brustbein. Wenn man vorne trägt, ist wichtig zu wissen, dass man das Gewicht nicht auf die Muskeln legen sollten die am Hals zum Kopf laufen. Schaut dass ihr die Träger eher außen auf die Schultern legt und dass euch die Querverbindung am Rücken (das Kreuz oder die Querverbindungsschnalle) nicht zu weit oben sitzt sondern zwischen den Schulterblättern. Probiert es aus, an welcher Stelle es euch am angenehmsten ist, ein Zentimeter weiter oben oder unten kann hier einen großen Unterschied machen. Ob ihr nun Vorne oder Hinten trägt, wichtig ist, dass ihr das Gewicht möglichst nah an euren eigenen Schwerpunkt ran holt, dann ist das empfundene Gewicht am leichtesten, ist das Tragetuch locker gebunden, kann dass Kind sich in der Trage von euch weg lehnen, sackt das Kind zusammen wenn es einschläft. Ist das für euch viel anstrengender, als wenn das Kind fest an euch dran ist.
An dieser Stelle starte ich dann in einer Trageberatung mit der Praxis. Tragehilfen und Bindeweisen sind wie Schuhe, jeder empfindet etwas anderes als bequem und jeder empfindet etwas anderes als einfach und praktisch.
Ich kann euch daher nur ermuntern eine Trageberatung zu machen, Tragehilfen erst auszuprobieren bevor ihr sie kauft und euch Bindeweisen mit dem Tragetuch zeigen zu lassen bevor ihr aufgebt, weil sie zu kompliziert erscheinen.
Über die Autorin: Katharina Kornhas, Mama von 2 Kindern (2012 201/6), Trageberaterin, Yogalehrerin.
Sie leitete Krabbelgruppen und Eltern-Kind-Kurse und kam über diesen Weg zur Trageberatung. Aus eigener Erfahrung weiß sie genau was für eine Erleichterung es sein kann, sein Kind zu tragen und dieses Wissen wollte sie mit anderen Eltern teilen. 2013 Ausbildung in der Trageschule Clauwi und seit 10 Jahren Trageberaterin im Raum Karlsruhe im Südwesten Deutschlands für Eltern, Großeltern und Erzieher zum Thema Tragen.
Besonders wichtig ist ihr nicht nur den Eltern die verschiedenen Möglichkeiten, die verschiedenen Tragehilfen und die verschiedenen Bindeweise zu zeigen sondern den Eltern Wissen mitzugeben, das selbst befähigt, die richtige Trageweise für sich und ihr Kind zu finden. Mehr Info unter http://www.tragehase-karlsruhe.de
Das Interview mit Katharina Kornhas findest du auf Instagram @2balance.yoga